Darauf könnt ihr lange warten (Die einzig machbare Schulreform)

für Reinhard Meis

So schaue denn auch im Schulleben jeder zunächst auf sich und sein Werk. Er frage sich, wie er zu
seinen Schülern steht, was er ihnen bisher gewesen und was er ihnen sein kann.
 Er mache aus seinem Amte eine persönliche Angelegenheit.
(Oberlehrer Dr. Hermann Weimer)


Könnten wir das Schulwesen reformieren, oh, wie schön würde unser Beruf werden! Zerreiben würden wir uns, schuften, dass die Fetzen fliegen. Aber erst mal müsste sich einiges ändern:

Weil der Staat allen Kindern die Pflicht auferlegt, seine Schulen zu besuchen, tut er alles Menschenmögliche, dass seine Veranstaltung auch den Verpflichteten gerecht werden kann.

Alle Schulen werden finanziell so ausgestattet, dass die es nicht mehr nötig haben, Fördervereine zu gründen und damit um Geld zu betteln. Der Etat jeder Schule wird nach dem jeweiligen Bedarf festgesetzt. Was Bedarf ist, entscheidet die Lehrerkonferenz. Jede Schule verwaltet ihren Etat selbst.

Weil professionelle Nachhilfegruppen überwiegend auf die Vernachlässigung der Institution Schule zurückzuführen sind, übernimmt der Staat sämtliche Nachhilfekosten.

Jede Schule erhält alle Lehrerinnen und Lehrer, die sie pädagogisch braucht, und die wählt sie auch selber aus. Wie sie die einsetzt, ist ihre Sache. Wer kein Kollegium findet, das ihn haben will, wendet sich an die Bundesagentur wegen einer Umschulung.

In Schulen und Klassen mit gravierenden Problemen helfen so viele qualifizierte Hilfskräfte, wie gebraucht werden. Das Nähere entscheiden die Schulkonferenzen.

Staat und Kirche werden getrennt, und alle Religionen werden gleichbehandelt. Das schließt einen von Staat oder Schulträger bezahlten Religionsunterricht innerhalb des „Stundenplans“ aus.

Aus den fächerbezogenen Lehrplänen werden bis einschließlich Klasse 6 Lernanregungen und Hilfen für ganzheitliche Inhalte kindlichen Lebens und Erlebens.

Dass Kinder im Lesenschreibenrechnen fit werden, wird wieder erstes Ziel des Lernens in der Primarstufe.

Die Grundschulzeit dauert sechs Jahre.

Ziffernzensuren vor dem Abschluss der Grundschule werden abgeschafft.

Stundentafeln für die Grundschule werden außer Kraft gesetzt und als Sondermüll entsorgt.

Herausragende Zeugnisse didaktischer Phantasie in Klassenbüchern werden der Georg-August-Universität Göttingen für deren Enzyklopädie moderner Sagen übergeben.

Sache jeder Schule ist es, über die Gliederung ihrer Lerngruppen zu entscheiden. Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister (Stäkumiko) erforschen Parapsychologen den Nutzen der Jahrgangsklasse.

Wer Lehrerinnen und Lehrer zwingt, nach vier Schulbesuchsjahren über die Schullaufbahn von Kindern zu entscheiden, kann für jede falsche Entscheidung in Regress genommen werden. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt 80 Jahre.

Weil Schulleiter und Schulleiterinnen Pädagogen sind und nicht Verwaltungsbeamte, arbeitet in jedem Schulbüro eine Sekretärin, und zwar so viel, wie sie gebraucht wird.

Die Lehrerschaft, beraten von Wissenschaftlern und staatlichen Organen, gibt sich die Grundsätze ihres Handelns selbst. Dann steht da nicht mehr: Die Lehrer sollen, die Lehrerinnen müssen, sondern: Wir wollen. Sie legen gemeinsam fest, was Kinder am Ende einzelner Zeiträume können sollen und wie wir das erreichen wollen.

Als Konsequenz aus der ihnen gegebenen Freiheit stellen Lehrerinnen und Lehrer jeweils zum Halbjahreswechsel staatlichen Gremien und Eltern die Ergebnisse ihrer Arbeit vor.

Künftige Lehrer müssen sich vor Studienbeginn einer halbjährigen Selbstprüfung unterziehen, um festzustellen, ob ihnen an Kindern überhaupt etwas liegt.

Der Staat verhindert, dass Menschen Lehrer ausbilden, die Kinder nur kennen, so sie eigene haben, und Schule nur aus Erinnerung und Literatur.

Das Lehramtsstudium mit zwei „Fächern“ wird neu geordnet. Hauptfach werden Kind und Jugendlicher.

Auf diese Reformen könnt ihr lange warten. Und was tun wir inzwischen?

„Es ist in unserem Schulwesen seit den Tagen des Humanismus schon viel reformiert worden, und der Eifer der Schulverbesserer hat sich genau auf dieselben Punkte beschränkt, die man heute noch als reformbedürftig empfindet: die Stoffwahl, die Lehrart und die Gesamtorganisation unseres Bildungswesens. Aber alle diese Reformen haben die Unzufriedenheit und das Unbehagen nicht aus der Schule zu bannen vermocht. Warum nicht? Weil diese Reformen immer nur den Sachen und Einrichtungen galten, nicht aber den Menschen. Es gibt nur eine große Reform...: das ist die Reform des menschlichen Herzens. Solche Reform kann freilich nicht von oben herab beschlossen werden, die müssen wir selber in uns vollziehen.“

(Kollege Hermann Weimer im Jahre neunzehnhundertsieben)