W. k. b. (Wir Bangbüxen)
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- Kategorie: Zu meiner Zeit (Kolumnen)
- Erstellt: Dienstag, 19. Januar 2010 11:26
O schaurig ist’s übers Moor zu gehen,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist’s übers Moor zu gehen,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
(Annette von Droste-Hülshoff)
Lasst uns zweier Männer gedenken. Beide sind tot. Der eine war Willi, Kreisdirektor und als solcher „Partner im Amt“ der Schulräte. Zu meiner Zeit wollte man für jede Behinderung einschließlich derer, die mit Hilfe willfähriger Wissenschaftler erst in den Rang einer solchen erhoben werden mussten, eine spezielle Sonderschule haben. Statt einer Sonderschule E (für Erziehungshilfe) im Grundschulbereich hatten wir eine kollegiale Selbsthilfeeinrichtung installiert. Ehe ein Kind wegen seines Verhaltens seine Gruppe verlassen müsse (das gab’s nach wie vor, aber sehr, sehr selten), stand eine Hilfsmannschaft bereit, Kolleginnen und Kollegen zu helfen, die mit einem Problemkind oder einer Problemklasse nicht mehr fertig wurden. Diese Truppe, lauter Vollzeit-Grundschullehrerinnen und -lehrer, leistete einen Teil ihrer Unterrichtsverpflichtung durch kollegiale Hilfe: Unterrichtsbesuche bei den betroffenen Kolleginnen und Kollegen, Rat, Tipps, gemeinsames Erarbeiten eines Konzepts, Verhaltenstraining, Supervision, Einbeziehung anderer Helfer. Das Schulamt hatte dem Personalrat versprochen, sich nicht einzumischen. Welche Kollegin/welcher Kollege wem half, wusste allenfalls der Personalrat.
Das Problem war die Zusatzausbildung: Der Regierungspräsident wollte unbedingt eine ausgewachsene Schule und dachte nicht im Traum daran, die Kosten zu übernehmen. Der Kultusminister war uns wohlgesonnen, wollte aber nicht den RP übergehen. Und die Kreisverwaltung durfte nicht Lehrerausbildung betreiben.
Willi, unser Kreisdirektor, der diese Schule ebenfalls nicht wollte, weil dann „der Kreis“ als Träger die Kosten am Hals gehabt hätte, sagte nach einigem Bedenken zu, die Ausbildungskosten zu übernehmen: „Das machen wir.“
Wir fürchteten die Stolperranken im Verwaltungssumpf, die Willi zu Fall bringen würden. Wie er denn reagieren werde, fragten wir, wenn das Rechnungsprüfungsamt ihn erwischte. (Und dass man ihn erwischen würde, war unvermeidlich.) Was Willi antwortete, habe ich auf ungezählten Veranstaltungen ungezählten bangebüxigen Kolleginnen und Kollegen erzählt. (Wir Lehrer sind Angsthasen.) Willi sagte: „Dann schreibe ich unter deren Bericht: ‚w.k.b.’ - wird künftig beachtet.“
Der zweite Mann, der unseres Gedenkens wert ist, war Rolf, Leiter unseres Schulverwaltungsamts. Kurz vor der Landtagswahl wuchs einst dem Kultusminister die Einsicht zu, er müsse neue Grundschullehrerinnen einstellen. Mitten im Schuljahr. Weil er aber stets behauptet hatte, es fehlten gar keine, deklarierte er sie als Ersatz für Lehrerinnen im Erziehungsurlaub. Die aber fanden sich in unserem Schulamtsbereich kaum noch, denn wegen des jahrelangen Einstellungsstopps waren gebärfähige Lehrerinnen selten geworden.
Die Stellen gingen, wie üblich, an die Regierungspräsidenten zur Aufteilung an die Schulämter. Unserer spendierte uns aufgrund geheimnisvoller Berechnungen deren fünf, und der Einsatz habe „an Schulen mit aus- bzw. übergesiedelten Kindern zu erfolgen”. Wehe, wenn wir Schulen wählten, die er aufgrund seiner Statistiken nicht akzeptiere! Dann, drohte er, werde er unsere Entscheidung „abändern”.
Aber das Zuweisen von Lehrern an ihre Schulen war lt. Rechtsverordnung Sache der Schulämter. Längst hatten wir Schulen, die wegen Ausländern oder Aus- und Übersiedlern (auf die völkische Unterscheidung muss man auch erst mal kommen!) besonders belastet waren, besser versorgt als andere. Jetzt sollten wir das also abermals tun.
Nun kommt so was nicht nur in der Verwaltung vor, dass der Stärkere, obwohl er das „eigentlich” nicht dürfte, dem Schwächeren den Reifen hinhält: Spring! Weigert sich der Schwächere, hat er gute Chancen. Aber was für ein Heckmeck an Kraftvergeudung, Nervenverschleiß und Zeitaufwand ist dafür erforderlich!
Wir fragten Rolf. Verwaltungsleute lösen Probleme nüchtern und pragmatisch. Phantome im Dunst sehen die nicht. Rolf sagte: Springt doch! Nach ein paar Wochen springt ihr einfach wieder zurück, indem ihr die fünf an Schulen abordnet, wo sie nötiger gebraucht werden. So geschah es, weil dem Personalrat Rolfs Idee gefiel.
Nun lasst uns nach Lehrerart fragen: Was lernen wir daraus? Viele Kolleginnen und Kollegen fühlen sich wie der Knabe im Moor, wenn sie wieder mal merken, dass sie eine pädagogische Vorstellung im wabernden Nebel von Gesetzen, Erlassen und Verfügungen verwirklichen müssen und der Boden unter ihren Füßen schwankt. Wir Pädagogen, ohnehin empfindsamer und darum auch ängstlicher und verletzungsanfälliger als andere Menschen, sehen jedes Phantom als reale Gestalt, in Behörden-Äußerungen vermuten wir sogleich Gesetzeskraft. Wer das Terrain nicht kennt, verirrt sich in „Rauch“ und „Dünsten“. Immer gleich gefesselt fühlen wir uns, statt zu sagen: „Ist doch bloß eine Ranke“. Statt sachlich zur Kenntnis zu nehmen, dass es unter den Füßen gluckert, fürchten wir den Untergang. Sobald jemand zu einem kinderfreundlichen Akt Du-du! sagen könnte, retirieren wir, statt munter fürbass zu schreiten.
Von den beiden, derer wir hier gedachten, ist zu lernen: Das tut nicht nötig.
PS: Wenn man mich – wg. Amtsverschwiegenheit – anmachen sollte, werde ich sagen: Die Geschichten sind erfunden. Sollte man mir dennoch drohen, werde ich antworten: w.k.b.