Am Ende eines Lehrerlebens (Pädagogische Leistung ist nicht zu tilgen)
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- Kategorie: Zu meiner Zeit (Kolumnen)
- Erstellt: Freitag, 10. Juli 2009 12:07
(Für K. R.)
„Ihr Toren, die Ihr im Koffer sucht!
Hier werdet Ihr nichts entdecken!
Die Contrebande, die mit mir reist,
Die hab ich im Kopfe stecken."
Heinrich Heine in „Deutschland, ein Wintermärchen“
über Zollbeamte, die Handfestes suchten
Ach, liebe Kollegin,
Ihre Gefühle sind wohl nachzuschmecken: Jetzt, da Sie in den Ruhestand geschickt wurden, wird für Ihre Kinder ein Kontrastprogramm aufgelegt, und Sie sehen die Früchte Ihrer Arbeit in den Orkus der Vergeblichkeit hinabgurgeln. Jahr für Jahr haben Sie vor den Stürmen, die Kinderverwalter gegen Ihre Schule bliesen, Türen und Fenster verrammelt und die Zahl Ihrer Gesinnungsgenossinnen im Kollegium vermehrt. Jahr für Jahr, wenn die grauen Gestalten mit den freudlosen Gesichtern die Sortiermaschine wieder einmal in Ihrem Biotop montiert hatten, um Ihre Kinder noch vor der Reifung nach Handelsklassen sortieren zu können, haben Sie dem Ungeheuer heimlich den Stecker rausgezogen.
Nun kommt die Restauration über Ihre Schule. Schon lange warteten Ihre Oberen darauf, Sie loszuwerden, weil es Ihnen an der rechten Strenge mangele. Nun wollen sie ihre Ordnung verwirklicht sehen.
An Ihrem Schreibtisch hat eine willfährige Wirtschafterin Platz genommen, die den gewünschten Anforderungen „in besonderem Maße“ entspricht. Das neueste Modell der Sortiermaschine mit integriertem vollautomatischem Testnoten-Ausdrucker hat sie mitgebracht, installiert und inventarisiert, ein paar genormte Pressen gleich mit. Die Klimaanlage, die aus Kindern wieder Nur-Schüler machen soll, hat zu surren begonnen. Ehrgeizblinde Erzeuger haben sich vor dem Büro eingefunden, das nun wieder Amtszimmer heißt, und lauschen dem Surren mit grimmiger Zustimmung.
Es war Ihnen ein Ärgernis, dass Ihr Dienstherr Ihnen „Dank und Anerkennung“ aussprach, während er selbigen Tags seinen Maschinenpark samt Bedienung gegen Ihr Erbe in Gang setzte? Zürnen Sie nicht dem, der Ihnen die Urkunde des Dankes und der Anerkennung gab; der meinte das nicht so.
Die Wirtschafter des Kontrastprogramms werden schröckliche Defizite bei Ihren Kindern feststellen und sich darüber verbreiten. Über Ihre „laxe Pädagogik“, die viel zuviel Wert auf Lernfreude gelegt habe, werden sie ein Lamento anstimmen. Nehmen Sie’s als Bestätigung. Möchten Sie denn lieber gelobt werden? Von denen?
Alles, klagen Sie, was Sie geschaffen haben, sei nun verloren. Liebe Freundin: Sie irren. Nicht Ideen und Taten verschwinden im Orkus, sondern nur ihr organisatorischer Rahmen. Aber der wurde in Ihrem Fall doch ohnehin nur von seinen Löchern zusammengehalten.
Niemand darf wähnen, seine Arbeit werde in seinem Sinne fortgeführt. Wann je in der Geschichte gab es das denn?
Bedenken Sie doch, was Sie Dauerhaftes hinterlassen haben! Was von Ihnen bleibt, kann nicht mehr getilgt werden: In IhrerZeit waren Sie wichtig für Ihre Kinder. Ungezählten Kindern haben Sie geholfen zu werden, was in ihnen angelegt war. Das bleibt. Von allem, was Lehrer tun und getan haben, bleibt nur, was in den Köpfen ist. Manchmal beunruhigt dieser Gedanke; aber viel mehr noch sollte er Ihnen Ruhe geben.
Nicht nur die Kinder sind’s. Denken Sie auch an Ihre Kolleginnen. Warum hadern Sie, da die nun dem Klimasturz ausgesetzt werden? Trauen Sie Ihren Ideen so wenig zu? Diese Kolleginnen können doch gar nicht mehr zurück. Das gibt es nicht, dass ein Pädagoge zu seiner Bestimmung findet und rückfällig wird, wenn ein Wirtschafter über ihn kommt.
Die da an Ihrem Erbe hantieren wollen, kommen zu spät. Was Sie in die Köpfe gepflanzt haben, ist dem Zugriff längst entzogen. Weder von preußischen Douaniers noch von bayerischen Schulamtsdirektoren kann das konfisziert werden.
Und nun, liebe Kollegin: Leben Sie Ihr neues Leben! Drei Jahrzehnte haben Sie in Kinder investiert. Nicht mal die Pädagogik ist es wert, mehr als ein Berufsleben an sie hinzugeben.
Herzlich:
der Ihrigste
GS
PS: Und wenn Sie demnächst lesen und hören, was Schulverwalter Neues anrichten, dann erlauben Sie sich getrost auch mal den Gedanken: Mit mir nicht mehr!