Taktiké (Taktik des Schuleveränderns)
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- Kategorie: Zu meiner Zeit (Kolumnen)
- Erstellt: Samstag, 09. Mai 2009 12:04
„Seid klug wie die Schlangen
und falsch wie die Tauben.“
(Bibel, apokryph)
Das muss jetzt mal sehr persönlich werden. Es heißt, der Autor dieser Kolumnen sei „rebellisch“, „aufmüpfig“, „widerborstig“, „bissig“. Als er einst zur Ernennung bei seinem obersten Dienstherrn antreten musste, wurde er gefragt, wie es komme, dass ein „troubleshooter“ wie er Schulrat werden wolle. Heute, dreißig Jahre später, hält er als aufgehörter Schulamtsdirektor die Pauschalität des Substantivs für so unzutreffend wie die der Adjektive.
Zugegeben: Dieses alles war und ist er auch. Aber da er die NRW-Vorschriftensammlung BASS (1,46 Kilo) und das um sie herum kultivierte Dornengestrüpp kannte, darf er für seine Rebellion mildernde Umstände reklamieren.
Nicht weniger richtig ist aber, dass es ihn erregte und immer noch erregt, wenn Pädagogen aus Bequemlichkeit, Unterwürfigkeit, Resignation oder Feigheit sich auf geeignete Vorschriften und allgemeine tumbe Gepflogenheiten berufen und ihre Pflicht missachten, nach Kräften das Kindeswohl zu befördern. Wenn durch manche Zeilen dieser Kolumnen Dampf zischt, zeugt das nicht nur vom Feuer gegen Korinthen-Auswurf bei Vorschriften. (Die sie ablassen, wollen Kindern doch nicht schaden – die können’s nur nicht besser.) Vielmehr richtet sich des Dampfes Zischen auch gegen Kolleginnen und Kollegen, die ihre Ideale verdorren lassen und andere mit Klagegesängen dafür verantwortlich machen.
Jedermann und jedefrau kann doch die pädagogischen Ellbogen spreizen: Wer die Klassentür hinter sich geschlossen hat, kann weitgehend tun, was dem pädagogischen Ethos geschuldet ist. Warum tun sie’s dann nicht? Oder tun sie’s etwa dochund jammern nur zur Tarnung?
In einer westdeutschen Großstadt muss der Schulträger für die Besetzung seiner Beförderungsstellen werben, denn viele Kollegen wollen sich den Tort nicht mehr antun. Aber Pädagogen haben kein Recht, über Kinderverwalter zu klagen, die als Schulleiter gestrandet sind: Warum erobern sie nicht die freien Stühle, ehe die falschen Leute sich darauf breitmachen?
Und die bereits Platz genommen haben: Warum lassen sie’s darauf ankommen, wer als Elternvertreter gewählt wird? Folgten sie den anerkannten Gesetzen des Lebens, würden sie im Vorfeld Sympathisanten in Stellung bringen: einen durchsetzungsfähigen IG-Metall-Betriebsrat oder eine HNO-Ärztin, damit die fortan als Verbündete agieren können.
Unzählige Kolleginnen und Kollegen, die zu meiner Zeit, in den siebziger Jahren, ihre Schulen veränderten, hatten erst Schulleiterstellen erobert und waren dann taktisch vorgegangen. Das heißt: Sie haben Bundesgenossen für die Evolution gewonnen. Einzeln hat man einen schweren Stand. Das griechische taktiké meinte die Kunst der Anordnung eines Heeres. Zu den unverzichtbaren Bundesgenossen im pädagogischen Heer zählen einige aus dem Kollegium. Nicht weniger wichtig sind Eltern. Warum wursteln so viele der heutigen Klage-Päds resigniert vor sich hin, statt Partner unter den Eltern zu suchen? Warum betreiben sie nicht die Umwandlung ihrer Schule in eine Montessori-, Freinet- oder Jenaplan-Schule? Warum sind unsere Hugo-Gaudig-Schulen („Emanzipation der Schüler zu immer freieren Arbeitsformen, zu immer selbständigerer geistiger Leistung“) an einer Hand abzuzählen? Natürlich wird, wer sich zu Gleichgesinnten unter einen solchen programmatischen Schirm begibt, dennoch immer wieder mal nass. Aber so große Löcher hat keiner dieser Schirme, dass die pädagogischen Inhalte darunter klätschnass werden könnten. Fragt die Montessori-Leute, die Jenaplan-Freunde, die Freinet-Exoten! Lernt von ihnen! Pflegt mit ihnen eure gemeinsamen Ideale!
Viele Schulträger schmücken sich gern mit einer besonderen Schule, und manchem Dezernenten geht das Herz auf, wenn ihm (von Angesicht zu Angesicht, nicht mit einem Schreibebrief!) eine Idee vorgestellt und er um Hilfe gebeten wird. Wenn nicht: Im Schulausschuss des Stadtrats gibt es vielleicht Sympathisanten! Mit denen kann man es sogar hinkriegen, dass die Initiative von ihnen ausgeht, wenn Betriebsrat und Ärztin schwächeln!
Überhaupt: Seid ihr eigentlich sicher, dass euer unmittelbarer Vorgesetzter nicht klammheimlich euer Parteigänger ist? Zu meiner Zeit wurden nicht wenige Kolleginnen und Kollegen in der Schulaufsicht als Mitstreiter gewonnen. Sogar im Ministerium hatten wir zwei.
Aber überlegt euch gut, mit welchen Kolleginnen und Kollegen ihr eure Ideen beredet. Es könnte sein, dass sie ihren Trott bedroht sehen, euch zwar, Sympathie heuchelnd, zunicken, nach Einbruch der Dunkelheit aber Beinchen stellen - leidvoll erfahren.
Und vertraut nicht einfach auf die Kraft eurer Argumente und auf treuherzige Augenaufschläge. Der hier „rebellisch“ und „aufmüpfig“ gescholten wird, hat einmal die angestrebte integrative Eingangsstufe an seiner Schule selber verhindert, weil er mit vorzeitiger Ehrlichkeit und taktischer Dummheit die Reformfeinde aufgeweckt hat. Nicht das Heer seiner Bundesgenossen hatte er aufgestellt, sondern die Lanze eingelegt und dem Gaul die Sporen gegeben.
Es war nicht sein einziger Fehler dieser Art. Des Erfolgs Voraussetzung ist oft nicht nur die taktiké, sondern auch, ein Bibelwort dem wirklichen Leben anzupassen und zu beherzigen: „Seid klug wie die Schlangen und falsch wie die Tauben!“
Das war jetzt sehr persönlich. Unversehens ist eine Ermunterung daraus geworden. Ob’s als Erklärung für Aufmüpfigkeit und Widerborstigkeit akzeptiert wird – wer weiß? Aber es musste mal sein und soll auch nicht wieder vorkommen.