Schule ohne Weiberhosen (Fundamentalisten-Schulen)
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- Kategorie: Zu meiner Zeit (Kolumnen)
- Erstellt: Mittwoch, 18. April 2007 15:30
Ich will euch die Schulen Frankreichs nicht anvertrauen,
denn sie euch anvertrauen heißt, sie euch auszuliefern.
(Victor Hugo 1850, Rede im französischen Senat zur
Absicht der Regierung, religiösen Bruderschaften
an Stelle des Staates Schulaufsicht zu erlauben)
Ein wahrer Fall, geschehen vor fast zwei Jahrzehnten im Ennepe-Ruhr Kreis, nur der Name ist geändert: Als die Lehrerin der zweiten Klasse eines Morgens im Hosenanzug erschien, weinte die kleine Esther. Tröstend legte die Lehrerin den Arm um das Mädchen: „Warum weinst du denn?" „Weil du”, schluchzte die Kleine, „jetzt nicht in den Himmel kommst.”
Esther gehörte einer fundamentalistischen evangelischen Gemeinde an, die ihrer Einordnung als Sekte entschieden widerspricht, weil sie gewiss ist, Sekten seien alle anderen Glaubensgemeinschaften. Angehörige dieser Gemeinde finden für jede nur denkbare Situation im Leben, auch für die belangloseste, die absolut verbindliche Handlungsanweisung in der Bibel. Auch die Kleiderfrage ist ein für allemal entschieden, seit vor mehr als 3000 Jahren Moses anordnete, es dürfe „nicht Mannszeug an einem Weibe sein”.
Im Jahre 1843 begann die Knechtschaft meiner Sippe im märkischen Breckerfeld, einem „kleinen, nahrungslosen Städtchen“ (so damals der „Westfälische Anzeiger“) mit sechshundert Einwohnern „eingeschränkter Denkungsart“ (zeitgenössisches Behördenurteil). Der Dritte Lehrer des Ortes hatte eines dieser frommen Kränzchen gegründet, die jedes Wort in der Bibel für bare Münze nahmen und um der ewigen Seligkeit willen strikt befolgten. Mein Ururgroßvater war dabei. Eine Generation später hatten sich sechs meiner Urgroßeltern in diesen Versammlungen unterworfen.
Zu meiner Zeit gab es die Sekte immer noch. Inzwischen versammeln sich in der westlichen Welt mehr und mehr ihresgleichen. In den USA zum Beispiel haben ihre „Brüder“ in Kansas durchgesetzt, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Evolutionsforschung vor Schülern geheimgehalten werden und die Sieben-Tage-Erschaffung gelehrt wird. In mehr als einem Dutzend weiterer US-Staaten steht die Revision der Lehrpläne bevor, in anderen werden Lehrer gesetzlich (!) ermuntert, gegen die Evolutionslehre zu agitieren.
In unseren staatlichen Bekenntnisschulen, den Gemeinschaftsschulen zumal, hatte man wenig Sinn für biblische Scharlatanerie und eigenbrötlerische Verbohrtheit. Da gründeten die Sektierer eben ihre eigenen Schulen , denn ihnen war aufgegangen, dass in Sachen Schulgründungen die „Gemeinde Christi ... in unverantwortlicher Weise dem Staat das Feld völlig überlassen”1 hatte. Den allergrößten Teil der Kosten spendierte ihnen nun Jahr für Jahr jener Staat, dessen Einfluss sie ihre Kinder mit Fleiß entzogen.
Wie das Leben so spielt: Ausgerechnet mir wurde die Aufsicht über die Schulen jener Stadt zuteil, in der einst die religiöse Hörigkeit meiner Sippe begonnen hatte. Und ausgerechnet hier gründeten die biblischen Fanatiker Anfang der neunziger Jahre eine Schule, und ihr Wortführer barmte am Telefon: „Aber verstehen Sie doch: Gott will diese Schule!“
Von dem durch ihn und seine „Brüder“ ernannten Schulleiter ließ ich mich in einen Disput über die Evolution verwickeln. Damals war die Idee vom Großen Designer noch niemand gekommen, sodass er noch an die schub- und stückweise Erschaffung allen Lebens in sieben Tagen glaubte. Und die verteidigte er mit dem abschließenden Bescheid: „Sie sind eben ein Evolutionist, und ich bin ein Kreationist.“ Mir stockte der Atem: Der Kerl warf den kümmerlichen Kiesel seiner Verbohrtheit als gleichberechtigt neben das Gebirgsmassiv der Evolution.
Niemand kann Eltern hindern, ihre Kinder nur von hosenfreien Lehrerinnen erziehen zu lassen. Das Problem war nur: Sie würden sich mit den eigenen Kindern nicht zufrieden geben können, denn sie hatten nicht genug für eine Schule, weil sie das Gebot, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, nur sparsam befolgten. Sie würden auch mit den eigenen Nachkommen nicht zufrieden sein wollen, denn sie fühlten sich zu missionieren verpflichtet („Gehet hin in alle Welt...“ und „Lasset die Kindlein zu mir kommen“). Wo ihre Gesinnungsgenossen Schulen bereits gegründet hatten, waren sie stolz, dass „ein großer Teil der Schüler- und Elternschaft aus ... nicht wiedergeborenen Menschen” bestand.
Für staatliche Schulaufsicht, die das „weltlich“ sehen muss, hieß das: Die wollen in unseren Schulen wildern. Eltern in sozial benachteiligten Einzugsgebieten würde die Möglichkeit gegeben werden, ganz legal ihre Kinder aus den Staatsschulen mit deren Integrierung von allerlei Fremdvölkischen und Falschgläubigen abzumelden und bei den Sektierern in Sicherheit zu bringen. Sogar evangelische Pastores, hörten wir, hatten in anderen Fällen bereits mitgemacht und sich mit dem Verweis aufs gemeinsame Evangelium händewaschend salviert (während ihre Landeskirche gegen die Fundamentalisten ihren Sektenbeauftragten mobilisierte).
Die Kärrnerarbeit der Integration von Migrantenkindern und -enkeln, die unendliche Mühsal der Sprachförderung von Deutsch nur stammelnden Kindern musste für die staatlichen Schulen noch schwieriger werden, weil die Heiden aller Völker nun mal eine starke Abneigung gegen die Missionierung ihrer Kinder haben und nicht zu den frommen Fanatikern wechseln (die treuherzig versichern: „Aber wir nehmen sie doch alle!“).
Das würde zur Folge haben, dass der Anteil an Problemkindern in den staatlichen Schulen der Umgebung noch mehr stiege, was wiederum zur Folge haben würde, dass noch mehr Reindeutsche von ihr wegstrebten, was wiederum zur Folge ... Und Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und so weiter – eine fatale Begattungskette des Schulwesens.
Ein weiterer Wortführer der Sekte probte seine Macht, indem er sich über den Rektor Hermann K. beschwerte, der des Sektierers Kinder bei bestimmten Themen des Biologieunterrichts nicht nach Hause schicken wollte, und als ich dem Beschwerdeführer nicht zu Willen war, beschwerte er sich über mich. „Der RP“ gab ihm Recht, doch als ich die Sekte im regionalen Fernsehen wegen ihrer Frauenunterdrückung der Verfassungsfeindlichkeit zieh, äußerte er sich während meiner Zeit nie wieder zum Problemkreis.
Im Kultusministerium wiegelte man ab: „Die paar Schulen!” Aber mit Gewissheit zu erwarten war: Während sich die staatlichen Schulen für die Mühseligen und Beladenen aus aller Welt verbrauchen und nach Samariterart alle durch miserable Politik verletzten Kinder an den pädagogischen Wegrändern aufsammeln, würden die Sektierer die Arbeitsbedingungen ihres Biotops genießen und die Ergebnisse als „mit des Herrn Hilfe erfolgreich“ darstellen können. Gar nicht sicher konnte man allerdings sein, ob unsere Schulen sich pädagogisch zur Wehr setzen oder als brave Beamte die privilegierte Konkurrenz einfach hinnehmen würden.Die Geschichte hat kein gutes Ende. Als die Sekte weder in Breckerfelder noch in Schwelmer Gebäuden Fuß fassen konnte, baute sie sich – ich war schon nicht mehr im Amt – einfach eine nagelneue Schule – auch für Esther. Die hat sie vermutlich längst absolviert. Wenn sie nach ihrer Eltern Gebet geraten ist, könnte sie längst eines Mitsektierers unterwürfige Ehefrau sein, weil sie Paulus folgt, der seinerzeit den Christengemeinden in Korinth und Ephesus schrieb: „ Ihr Weiber, seid unterwürfig euren eigenen Männern, als dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt des Weibes“, und dieses „fürchte den Mann“. Wenn sie’s ganz ernst meint, wird sie ihre Ausbildung mit dem Hauptschulabschluss beendet haben, denn Paulus hat den Frauen geboten: „Wenn sie aber etwas lernen wollen, so sollen sie daheim ihre eigenen Männer fragen.“2
Heute fordern führende deutsche Bildungsforscher im „Aktionsrat Bildung“ die weitgehende Privatisierung unseres Schulsystems. Mein vor zwei Jahrzehnten verlorener Kampf fiel mir wieder ein, und da googelte ich „Schulen auf biblischer Basis“. Es gibt immer mehr, die sich ganz blauäugig outen. Sucht man nach der Kombination „Evolution“ und „Grundschule“, gibt es allerlei „evangelisch“ genannte Schulen, die bei näherem Zusehen von Fundamentalisten betrieben werden. Die bringen den Kindern unter anderem bei, mit der Lehre von der Evolution kämpfe der Höllenfürst gegen „Gottes Wort“. Dafür erfahren die Kinder wohl, dass auch jene Geschichte, in der Noah von jedem Tier der Erde ein Paar in seiner Arche vor der Sintflut rettet, wörtlich zu nehmen sei: Nach Berechnungen sekteneigener Wissenschaftler ist ein Ding dieser Größe konstruierbar und navigationsfähig. Wo die eigene Wissenschaftscrew nicht weiterhilft, beuten sie einfach ihre Gegner aus. „Es macht mich wütend“, schreibt der Evolutionsforscher Stephen Gould, „wenn ich immer und immer wieder – ob absichtlich oder aus Dummheit, weiß ich nicht – so zitiert werde, als hätte ich eingeräumt, ...“Und wenn gar nichts mehr hilft, verstößt diese Art Christen ungeniert wider das achte Gebot, redet falsch Zeugnis und behauptet, die „Evolutionisten“ glaubten an die Abstammung des Menschen vom Affen.
Im PISA-Schlusslicht Bremen rühmt sie bereits der verantwortliche Bildungssenator. Wer sagt denn, dass das von den frommen Fundis als Vorbild zitierte Holland mit seinen 70 Prozent Privatschulen ihr Traum bleibt? Wenn hierzulande der Staat die nächste PISA-Schmach mit Hilfe von Druck auf überlastete Lehrer zu vermeiden sucht statt mit besseren Lernbedingungen? Wenn er seine eigenen Schulen weiter vernachlässigt und die Schulen seiner Gegner mit Millionenaufwand fördert?
1Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bekenntnisschulen: Schulen auf biblischer Basis; Hänssler, Stuttgart 1989, S. 77
2Alle Zitate nach der sekteneigenen Bibelübersetzung, Verlag Brockhaus, Elberfeld
18. April 2007