Ein fröhliches Nein (Selbsttätigkeit - Selbstständigkeit)

Wollen wir diesmal nicht wertvolle Erfahrungen nutzen?
Immer wieder wiesen schöpferische Pädagogen 
den Weg in die aktive Schule, 
aber stets wurde dieser Weg verschüttet, 
und die neue Schulreform schien nichts von geleisteter Vorarbeit zu wissen. 
(Lotte Müller in ihrem Buch „Umstellung auf freie geistige Schularbeit“, 
Comenius, Berlin, und Klink-hardt, Bad Heilbrunn 1951, S. 10)

Seit Jahrhunderten zieht sich eine große Idee durch die Fachliteratur für Lehrer.


Hugo Gaudig, 1922: Die gesamte Disposition, die wir für die sich bildenden Zöglinge jeder Schule (auch Volksschule) anstreben, kann nur dann verwirklicht werden, wenn die gesamte Bildungsarbeit nach dem Prinzip der Selbsttätigkeit organisiert ist. (Die Schule im Dienste der werdenden Persönlichkeit, Band 1, Leipzig, S. 93)

Rudolf Karnick, 1958: Gerade unsere Zeit verlangt Menschen, die selbständig sind im Denken und Handeln ... Der Schüler soll aktiv und produktiv tätig sein. Das geschieht nur durch Selbsttätigkeit. (Frohes Schaffen und Lernen mit Schulanfängern, Beltz, S. 3)

Leo N. Tolstoi, 1862: Für einen Lehrer, der sich in eine freie Schule eingelebt hat, erscheint ein jeder Schüler als ein eigener Charakter, der seine besonderen Bedürfnisse hat, deren Befriedigung nur eine freie Wahl ermöglichen kann. (Pädagogische Schriften, Bd. 2; deutsch: Diederichs, Jena 1907, S. 58)

Kurt Singer, 1981: Der Unterrichtsgrundsatz der Selbsttätigkeit geht von der Einsicht aus: Lernen durch eigenes Tun ist wirksamer, als wenn der Schüler passiv aufnehmen muss. Selbst-tätig-Sein regt ihn an, weiter zu überlegen, nachzudenken, selbständig ein Problem zu lösen. Es macht ihn problemorientierter, selbstkritischer und selbstbewusster. (Maßstäbe für eine humane Schule, Fischer Taschenbuch, S. 136)

Regierung von Anhalt, 1920: Um jedes Kind seiner Eigenart entsprechend allseitig fördern zu können, wird im Unterrichte unserer Grundschulklassen großer Wert auf selbständige Erarbeitung des Stoffes ... gelegt. (Erlass vom 30.10.)

Johann Heinrich Pestalozzi, 1785: Es entwickelte sich in den Kindern ein Bewusstsein von Kräften, die sie nicht kannten. Sie fühlten sich selbst, und die Mühseligkeit der gewöhnlichen Schulstimmung verschwand wie ein Gespenst ... (Wie Gertrud ihre Kinder lehrt, 1. Brief)

Peter Petersen, 1927: Ist uns doch das Problem der „Führung“ im Unterricht, der wirklich auf der echten Selbständigkeit und Selbstverantwortlichkeit des Kindes ruhen soll, ein stetes Problem erster Ordnung ... (Der kleine Jena-Plan V A, „Elementargramma- tik“)

Franz Kade, 1956: Neben der Methode des Lehrens ist eine Methode des Lernens zu entwickeln, die das Kind in zunehmendem Maß zur Eigentätigkeit führt und damit zur Selbstbildung befähigt. (Schule im Werden. Dümmler, S. 55)

Maria Montessori, 1918: In den kindgemäßen Umgebungen unserer Kinderhäuser haben die Kleinen ihr inneres Bedürfnis mit dem bezeichnenden Satz ausgedrückt: Hilf mir, es allein zu tun. (Kinder sind anders: deutsch: Wett, 1952, S. 274)

Martin Wagenschein, 1983: Ich sah meine Aufgabe: Vom Vorrang des Verstehens zu überzeugen, und dass dieses Verstehen zu geschehen habe als ein Hervorgehen des wissenschaftlichen aus dem kindlichen und dem jugendlichen Suchen und Finden, Denken und Entdecken (Erinnerungen für  morgen, Beltz, S. 121)

Richard Seyfert 1921: Es kommt alles darauf an, dass die Kinder selbständig sinnen und schaffen. (Schulpraxis. Lehre vom Unterricht der Volksschule. Walter de Gruyter, Berlin und Leipzig, S. 75)

Ellen Key, 1906: Die Schule hat nur ein großes Ziel: sich selbst entbehrlich zu machen, das Leben und das Glück - das will unter anderem sagen, die Selbsttätigkeit - an Stelle des Systems und des Schemas herrschen zu lassen.

Adolf Diesterweg, (1790 – 1866): Erziehung zur Selbständigkeit durch Selbsttätigkeit (Programmatische Forderung)

Fritz Jöde, 1920: Das, was am typischen Schüler zuerst auffällt, wenn man ihn einmal sich selbst überlässt, ist die gänzliche Unfähigkeit zur Selbstentfaltung. Dass sich eine Selbstentfaltung aus eigenem Willen nicht hat entwickeln können in einer Schule, wo es fast keinen Unterrichtszweig gab, in dem nicht Lehrer oder Lehrplan vorgedacht hatten, was vom Schüler gehorsamst nachzudenken war, und in der die Lehrer ja auch alles vorgedacht bekamen, versteht sich von selbst. (Pädagogik deines Wesens, Adolf Saal, Hamburg, S. 45 f.)

Hartmut von Hentig, 1993: Jedes Kind hat seine Aufgabe und sucht den Lehrer auf, wenn es Hilfe braucht, oder der Lehrer geht zu ihm. (Die Schule neu denken. Hanser, S. 211)

Jean-Jacques Rousseau (1712-1778): Er lernt umso besser, als er nirgends die Absicht sieht, ihn zu belehren. (Emil oder über die Erziehung; Zweites Buch, Kapitel 12)

Wilhelm Lamszus, 1924: Das war das erste und größte, was die Lehrer, die sich zusammenfanden, vollbrachten: dass sie den Schulmeister in sich erschlugen. (Der Weg der Hamburger Gemeinschaftsschule. In:  Fritz Karsen, Hg.: Die neuen Schulen in Deutschland, Beltz, S. 36)

Célestin Freinet, 1967: Seien wir ehrlich: Wenn man es den Pädagogen überlassen würde, den Kindern das Fahrradfahren beizubringen, gäbe es nicht viele Radfahrer. (Pädagogische Texte, rororo 1980 )

Johann Friedrich Wilberg, 1821: Gewöhnlich wird ... von den Lehrern zuviel geschwätzt. (Die für die Elementarschule nothwendigen und genügenden Schulübungen ..., G. D. Bäder, o. O., S. IV f. )

Schulbesucher, 1990: Wer in der Dunkelheit eines Wintermorgens sich einer deutschen Schule nähert, sieht lauter erleuchtete Fenstergruppen, und hinter jeder ragt in der Regel ein Schatten: wir. Wer das Gebäude betritt, hört hinter jeder Tür eine Stimme: wieder wir.

Liebe Kollegin Lotte Müller selig! Sie fragen, ob wir nicht endlich wertvolle Erfahrungen nutzen wollten. Darauf antworten wir fröhlich: 
Nein.